Jede*r von uns führt ein Doppelleben – zumindest, wenn es nach der vorherrschenden Meinung im Marketing geht. Auf der einen Seite steht das Privatleben mit Familie und Freunden. Kaufentscheidungen werden hier eher aus dem Bauch heraus getroffen. Marketing für Endkunden ist deswegen emotional und kreativ. Auf der anderen Seite ist das Berufsleben. Hier regiert laut Lehrbuch nicht das Gefühl, sondern rationales Kalkül. Marketing im B2B-Bereich setzt deswegen auf Informationen und Wissen. Dieser weitverbreitete Ansatz „B2B- vs. B2C-Marketing“ ignoriert allerdings einen Fakt: Wir sind und bleiben Menschen – egal ob zu Hause oder im Büro.
Dieser Artikel zeigt, warum eine Unterscheidung zwischen B2B- und B2C-Marketing immer weniger Sinn ergibt – und was das für eine wirkungsvolle B2B-Marketing-Strategie bedeutet.
Was ist B2B-Marketing? Eine Spurensuche
B2B steht für Business-to-Business. Unternehmen in dem Bereich richten sich mit ihren Produkten also an andere Firmen und nicht an Konsument*innen wie Business-to-Consumer (B2C). Von Softwarelösungen über Unternehmensberatung bis hin zu medizinischen Geräten – häufig handelt es sich um erklärungsbedürftige Leistungen, die obendrein viel Geld kosten. Aus diesem Grund entscheidet auf Kundenseite meist keine Einzelperson über eine Anschaffung. Vielmehr gibt es interne Regeln, die aufschlüsseln, wer welche Freigabe bis zu welcher Summe erteilen darf. Bei geringeren Investitionen reicht die Unterschrift eines Vorgesetzten, bei größeren braucht es die Zustimmung einer Fach-Abteilung oder gar des Vorstands. Durch diese Compliance-Regelungen treten die individuellen Interessen der Einkäufer*innen in den Hintergrund. Im Zentrum der Entscheidung steht das Wohl der Firma.
So weit, so richtig. Diese Unterschiede im Vergleich zu Konsument*innen, die ihre Kaufentscheidung häufig auf Grundlage individueller Vorlieben treffen, führen zu komplett anderen Herangehensweisen im B2B- vs. B2C-Marketing: Während die Kommunikation im Konsument*innen-Umfeld Menschen adressiert, sind es im B2B-Bereich Firmen und deren Interessen.
Die Folge: B2B-Marketing-Strategien fußen auf rationalen Argumenten und nicht auf Emotionen. In Whitepapers werden ausführlich Lösungen für unternehmerische Probleme beschrieben, Blog-Artikel geben kenntnisreich Antworten auf Fach-Fragen und Thought Leadership-Beiträge regen zum Nachdenken über die Zukunft der Branche an.
B2B- vs. B2C-Marketing: Grenzen lösen sich auf
Wir sind es als Konsument*innen gewohnt, einfach und schnell online Dinge bestellen zu können. Plattformen wie Amazon, eBay und Co. haben dieses flexible Einkaufserlebnis perfektioniert. Gerade jüngere Manager*innen übertragen diese Erfahrungen des Privatlebens direkt in den Job. Hinzu kommen Erlebnisse aus der Corona-Zeit. Sie hat gezeigt, dass digitale Lösungen Geschäftsprozesse nicht behindern – im Gegenteil: häufig konnte durch neue Arbeitsmethoden die Effizienz gesteigert werden.
Einkäufer*innen agieren daher immer mehr wie Konsument*innen: Sie wünschen sich schnelle, zeit- und ortsunabhängige Lösungen. Kurzum: Digitale Bestellmöglichkeiten. Daher gewinnen virtuelle Selbstbedienungsläden im B2B-Bereich mehr und mehr an Bedeutung, wie eine McKinsey-Studie zeigt. Mühselige Preis-Verhandlungen mit Sales-Teams werden zusehends als lästig empfunden.
Nicht nur beim Abschluss eines Kaufs verlieren personenbezogene Kanäle an Bedeutung, auch bei der Auswahl potenzieller Lieferanten: Deren Websites sehen viele Entscheidungsträger*innen mittlerweile als aussagekräftiger an als eine direkte Interaktion mit einem Vertriebler.
B2B-Unternehmen konkurrieren daher im Bereich der Nutzer*innen-Erfahrung und Customer Journey nicht mehr nur untereinander, sondern mit B2C-Brands, Online-Marktplätzen und Social Media. Letztendlich mit Erfahrungen aus dem Privatleben. Die Folge: Die Unterscheidung B2B- vs. B2C-Marketing existiert kaum mehr.
„Messy Middle“ im B2B-Marketing
B2B-Käufer*innen haben online genau wie Konsument*innen mit überwältigenden Auswahlmöglichkeiten und einer Informationsflut zu kämpfen. Sich hier zu verlieren, ist ein leichtes. Google hat untersucht, wie trotz dieser Unübersichtlichkeit Kaufentscheidungen zustande kommen und in das „Messy Middle“ -Konzept überführt.
Die Studie fußt auf Erfahrungen im B2C-Bereich. Wie oben beschrieben kann das Konzept durch die Annäherung des Nutzer*innen-Verhaltens auf das B2B-Umfeld übertragen werden.
„Messy Middle“
Zu Beginn der „Messy Middle“ steht ein Anreiz zum Kauf. Daraufhin erfolgt im Wechsel Erforschung und Bewertung.
Erforschung
Passende Lösungen werden herausgefiltert und Informationen zum Produkt oder Dienstleistung, zur Marke und zum Unternehmen eingeholt.
Bewertung
Die recherchierten Optionen werden durch Bewertungen wie Rezensionen und Empfehlungen eingegrenzt.
Gerade im B2B-Bereich, wo es sich um komplexe Produkte oder Dienstleistungen handelt, kann der Prozess aus Erforschung und Bewertung sehr langwierig sein und sich wiederholen.
Kauf
Wie entkommen Menschen der Spirale aus Erforschung und Bewertung? Indem wir neben den recherchierten Gründen auf Tief in der Psyche verwurzelte kognitive Verzerrungen, sogenannte Bias, zurückgreifen.
Affektheuristik
Ein Beispiel dafür ist die Affektheuristik. Sie besagt, dass Menschen bei der Recherche vor allem die Informationen wahrnehmen, die bestehende Ansichten bestätigen. Unser Gehirn kreiert sich also eine eigene Filterblase.
Die Affektheuristik spielt gerade im B2B-Bereich eine wichtige Rolle, wie Umfragen zeigen. So steht hier am Ende der „Messy Middle“ kein Kauf, sondern eine Auswahl an potenziellen Lieferanten. Sie bildet die Grundlage für die letztgültige Entscheidung.
Studien zeigen, dass 80 bis 90 Prozent aller Einkäufer*innen bereits potenzielle Partner im Kopf haben, bevor sie sich auf Recherche begeben. 90 Prozent von ihnen favorisieren am Ende des Prozesses einen Zulieferer, der von Beginn an zur Auswahl stand. Die „Messy Middle“ führt also dazu, dass eine zuvor existierende positive Meinung über einen potenziellen Lieferanten eher verstärkt als relativiert wird.
Was folgt daraus für die B2B-Kommunikation?
B2B-Marketing-Manager*innen sollten zum einen dafür Sorge tragen, dass wichtige Stakeholder mit ihrem Unternehmen bereits in Kontakt kommen, bevor eine konkrete Kaufabsicht besteht.
Zum anderen sollten die B2B-Marketing-Maßnahmen frühzeitig positive Assoziationen bei potenziellen Kund*innen hervorrufen, so dass diese sich im richtigen Moment an das Unternehmen erinnern. Das gelingt, indem Emotionen erzeugt und mit der Marke verknüpft werden – denn Gefühle bleiben eher im Kopf als Fakten.
Emotionen steigern den Erfolg eines B2B-Unternehmens
Am Ende sind im B2B-Bereich Menschen am Werk. Und sie fällen Entscheidungen häufig auf Basis emotionaler Faktoren statt rationaler Argumente – auch wenn das Gehirn uns gerne etwas anderes glauben lassen möchte.
Emotionale Marketingstrategien im Business-to-Business-Umfeld tragen daher langfristig 7-mal stärker zum Unternehmenserfolg bei als Kampagnen, die auf Argumente und Informationen setzen. Gefühle führen zu mehr Unternehmenserfolg.
Das zeigt sich auch darin, dass B2B-Unternehmen mit einer starken Marke wesentlich höhere Gewinne erzielen. Emotionale Botschaften fördern diesen Markenaufbau. Sie sorgen dafür, dass das Unternehmen positiv wahrgenommen wird und im entscheidenden Moment im Gedächtnis präsent ist – nämlich dann, wenn es um die Auswahl potenzieller Lösungsanbieter geht.
So gelingt eine Emotionalisierung im B2B-Marketing
Schauen wir uns an, wie Marketing-Maßnahmen im B2B emotionaler, menschlicher und damit erinnerungswürdiger werden:
B2B-Zielgruppenanalyse
B2B-Unternehmen wissen enorm viel über ihre Ziel-Branchen, welche Unternehmen dort tonangebend sind, wie deren Portfolio ausschaut und wo deren Painpoints liegen. Das Resultat ist eine Kommunikationsstrategie, die auf Fakten und Erfahrungswerten („Das haben wir schon immer so gemacht“) oder auf internen Vorgaben („Der Vorstand möchte das gerne so“) beruht.
Eine Emotionalisierung des Marketings, egal ob B2B oder B2C, kann allerdings nur gelingen, wenn die Wünsche, Bedürfnisse und das Umfeld der menschlichen Zielgruppe bekannt sind. Das setzt voraus, dass B2B-Unternehmen nicht nur ihre Zielbranchen und -firmen kennen, sondern auch die dahinterstehenden Personen betrachten. Entscheidende Fragen sind beispielsweise:
- Wie sehen die Entscheidungsprozesse in den Unternehmen aus und welche Personen / Abteilungen sind daran beteiligt?
- Wie bekannt ist die eigene Lösung dort?
- Was denkt die Zielgruppe über mein Produkt?
- Über welche Touchpoints können sie erreicht werden?
Um Antworten darauf zu finden, können B2B-Marketing-Manager*innen sich an Maßnahmen im Business-to-Consumer-Bereich orientieren. Dazu zählen Zielgruppen- und Kund*innenbefragungen, Erfolgsmessungen von Kampagnen und die bereichsübergreifende Auswertung von Daten vor allem zwischen Sales und Marketing.
B2B-Marketing-Content
Storytelling ist die wohl bekannteste und effektivste Methode, Emotionen zu wecken. Unser Gehirn liebt aus evolutionären Gründen Geschichten. Sie waren Tausende Jahre die einzige Möglichkeit, Begebenheiten über lange Strecken zu verbreiten und für die Nachwelt festzuhalten.
Allerdings ist gutes Storytelling kein Selbstzweck. Es basiert auf einer langfristigen B2B-Marketing-Strategie, die bestimmt, welche Botschaften die Zielgruppen an welchen Stellen erreichen sollen. Anhand dessen erfolgt die Auswahl der passenden Geschichten.
Jedes Unternehmen verfügt über eine Vielzahl davon – von Kund*innen-Storys über Mitarbeitenden-Porträts bis hin zu Einblicke in die Produktion ist alles möglich. Schlussendlich braucht es Kreativität und journalistisches Gespür, um die passenden Geschichten zu finden. Manchmal verhindert die interne Brille den Blick darauf. In solchen Fällen ist es hilfreich, externe Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
B2B-Marketing-Kanäle
Wie die Content Marketing Trendstudie 2022 von Statista zeigt, sehen über 80 Prozent der B2B-Unternehmen Owned Media als beste Möglichkeit, ihre Inhalte zu verbreiten. Natürlich ist es sinnvoll, auf den Ausbau eigener Kanäle zu setzen.
Allerdings sollte Paid Media im B2B-Marketing-Mix nicht gänzlich missachtet werden, wie es derzeit häufig passiert. Die gezielte Platzierung guter Geschichten in Magazinen oder auf redaktionellen Websites bringt mehrere Vorteile mit sich:
- Die Reichweite ist großteils um ein Vielfaches höher als bei Owned Media.
- Die eigene Kommunikation profitiert von der Glaubwürdigkeit der Redaktion.
- Es ist eine gute Möglichkeit, Kontakte zu Redaktionen zu pflegen und damit die Chancen auf Earned Media zu erhöhen.
Ein beliebtes Mittel, um das zu erreichen, sind Advertorials. Dahinter verbergen sich gekaufte Platzierungen im Stil eines redaktionellen Beitrags. Damit sie ihre Wirkung entfalten können, sollte der Inhalt nicht werblich, sondern journalistisch aufbereitet sein.
2-Wege-Kommunikation für eine erfolgreiche B2B-Marketing-Kampagne
Der Einzug von Emotionen in die B2B-Marketing-Strategie bedeutet nicht, das rationale Argumente darin keinen Platz mehr finden. Es ist vielmehr ein Zusammenspiel aus beiden: Während gutes Storytelling die Aufmerksamkeit potenzieller Kund*innen auf sich zieht und das Unternehmen im Kopf verankert, lassen Whitepaper und Co. eine Kaufentscheidung daraus werden.
Emotionen sind entsprechend im oberen Teil des B2B-Marketing-Funnels angesiedelt, während Logik und Argumente die unteren Abschnitte bestimmen.
Aber Vorsicht: Beide Maßnahmen gehen zwar Hand in Hand, lassen sich aber nur bedingt miteinander vergleichen. Daten von The B2B Institute zeigen, dass rationale Botschaften wesentlich schneller eine Absatzsteigerung, Leads oder andere kurzfristige positive Effekte mit sich bringen. Der Return on Investment (ROI) ist auf die einzelne Maßnahme betrachtet im ersten Moment höher. Erst auf lange Sicht und in der Gesamtschau führt Emotionalität nachgewiesenermaßen zu mehr Wachstum. Denn erfolgreiche Performance-Kampagnen profitieren erheblich von der Vorarbeit des Brand Building.
Storytelling sollte daher von Anfang an eine wesentliche Rolle in der B2B-Marketing-Strategie spielen – eine 50-50-Aufteilung zwischen Emotionen und Rationalität gilt als ideal. Unternehmen werden deswegen nicht weniger ernst genommen; potenzielle Kund*innen hören einfach lieber und länger zu.
Zusammenfassung: Modernes B2B-Marketing funktioniert nur mit Storytelling
Ob Endprodukt für Privatpersonen oder Zwischenprodukt für Firmen – die Abgrenzung B2B- vs. B2C-Marketing ergibt immer weniger Sinn. Der Grund liegt an den Erwartungen von (jüngeren) Manager*innen, die positiven Einkaufserfahrungen aus dem Privatleben im Job wiederzufinden: unkompliziert, flexibel und digital.
B2B-Marketing-Manager*innen können sich aus diesem Grund mehr und mehr an den erprobten B2C-Methoden für eine emotionale Kommunikation bedienen. Dabei sticht das Thema Storytelling heraus.
Das Erzählen von Geschichten wirkt vor der eigentlich Kaufabsicht. Es sorgt dafür, dass eine Marke im Kopf bleibt und auf den Plan tritt, sobald eine Liste potenzieller Zulieferer erstellt wird. Eine Kommunikation basierend auf Fakten gibt den Einkäufer*innen im zweiten Schritt die Argumente für eine positive Kaufentscheidung an die Hand.
Emotionale und rationale Kommunikation sollte in der B2B-Marketing-Strategie daher gleichwertig betrachtet und eingesetzt werden: Storytelling am Anfang des Funnels, eine faktenbasierte Kommunikation am Ende.
Dieses Vorgehen setzt voraus, dass B2B-Marketing-Manager*innen sich nicht mehr nur auf Unternehmen konzentrieren, sondern den Mensch in den Fokus ihrer Maßnahmen rücken. Eine Zielgruppenanalyse gibt ihnen dabei Aufschluss darüber, wer für sie die wichtigsten Personen sind, woher sie ihre Informationen beziehen und wie sie Entscheidungen treffen. Mit dem Wissen kann die gesamte Customer Journey dargestellt werden, um die passenden Inhalte an der richtigen Stelle zu platzieren. Ein Vorgehen, das im B2C-Marketing zum Alltagsgeschäft gehört.
Insofern sind die Unterschiede im Marketing zwischen einzelnen B2B-Branchen mittlerweile weitaus größer als generell zwischen B2B und B2C.
Bildnachweis:
Grafik „Messy Middle“: Think with Google