Nicht nur seitdem das Unwort „Lügenpresse“ durch Deutschlands Straßenzüge weht und an manchen Stammtischen zum guten Ton dazugehört, zeigt sich das Glaubwürdigkeitsproblem von Journalistinnen und Journalisten. Dieses Misstrauen wird auch in Umfragen deutlich: Laut dem Edelman Trust Barometer 2024 geben fast die Hälfte der Deutschen an, dass Medienschaffende trotz besseren Wissens die Unwahrheit berichten würden.
Unternehmen außerhalb der traditionellen Medienlandschaft können nicht nur in diese Glaubwürdigkeitslücke vorstoßen. Es wird geradezu von ihnen erwartet. So genießen Expertinnen und Experten aus der Wirtschaft bei den Themen Technologie und Innovationen ein höheres Vertrauen als Journalistinnen und Journalisten. Zugleich möchten 59 Prozent der Menschen hierzulande, dass CEOs Stellung zu gesellschaftlichen Fragen beziehen. Auch das Zahlen aus dem Edelman Trust Barometer.
Die Daten zeigen, dass Unternehmen mittlerweile mehr Aufmerksamkeit und Vertrauen über eigene Kanäle produzieren können als über klassische Medien. Robert Jozic, Leiter des internationalen Retail-Media-Geschäfts der Schwarz-Gruppe (Kaufland & Lidl), brachte es beim W&V Summit 2024 auf den Punkt: „Wir werden vom Handelsunternehmen zu Publishern“.
Willkommen im Zeitalter des Brand Journalism.
Definition Brand Journalism
Brand Journalism bedient sich journalistischer Techniken und Standards, um ehrlich, transparent und unterhaltsam über Unternehmensthemen zu berichten. Im Fokus stehen die Rezipientinnen und Rezipienten und ihr Bedürfnis nach Wissen, Informationen und Problemlösung.
Damit verabschiedet sich die Corporate Communication von reinen Produktinformationen und beschönigten Nabelschauen. Stattdessen zählen authentische und für die Zielgruppe interessante Inhalte. Das können Themen sein, die im Moment in der Gesellschaft verhandelt werden – sogenanntes Agenda Surfing. Oder Storys aus dem eigenen Unternehmen. Die meisten Firmen sitzen auf einem Schatz an Geschichten.
Kommunikationsprofis prüfen, ob diese relevant sind, in welcher Form sie bestmöglich aufbereitet werden, welche Stimmen zu Wort kommen sollen. Ihr Ziel: Storys, die begeistern, informieren, unterhalten und damit den Wert der Unternehmenskommunikation erhöhen.
Abgrenzung zum Content-Marketing
Im Vergleich zum Brand Journalism ist Content-Marketing im deutschsprachigen Raum omnipräsent. Zum Teil werden beide Begriffe synonym verwendet, auch weil sie auf einer gemeinsamen Erkenntnis beruhen: In der steigenden Flut an Informationen wird nur der gehört, der die Sprache der Zielgruppe spricht und für sie relevante Inhalte aufbereitet. Journalistisches Handwerkszeug und unternehmenseigene Medien bilden dafür die Grundlage.
Die Schwerpunkte von Brand Journalism und Content-Marketing sind jedoch unterschiedlich:
Content-Marketing fokussiert sich auf die Customer Journey. Mittels einer Content Strategie wird analysiert, welche Botschaften und Informationen potenzielle Kundinnen und Kunden an welcher Stelle benötigen. Anhand dessen werden die passenden Storys ausgewählt.
Beim Brand Journalism geht es weniger darum, den Absatz zu steigern. Vielmehr sollen die Inhalte informieren, unterhalten, inspirieren und damit Emotionen bei der Zielgruppe wecken. Das Ziel: Dem Unternehmen eine Stimme und eine Identität geben.
Kurz gesagt: Während Brand Journalism langfristig auf Aufmerksamkeit und Markenbindung aus ist, geht es beim Content-Marketing um die positive Beeinflussung von eher kurzfristigen Kaufentscheidungen.
Abgrenzung zum Journalismus
Es wäre fatal, Brand Journalism mit Journalismus gleichzusetzen. Eine betriebsschädigende Berichterstattung in unternehmenseigenen Medien wird nicht stattfinden. Punkt. Dafür braucht es unabhängige, investigative Reporterinnen und Reporter. Brand Journalism ist nicht unabhängig, Journalistinnen und Journalisten sind es hingegen.
Journalistische Techniken in der Unternehmenskommunikation
Brand Journalism und damit Content-Writing möchten ehrlich, transparent und fesselnd über unternehmensrelevante Inhalte berichten. Dafür bedient es sich Techniken und Standards des Journalismus:
Nachrichtenwert
Wir alle befinden uns in einer Content-Bubble. Uns interessiert ein Thema brennend und sind dann überrascht, dass es nur ein geringer Bruchteil der Menschen genauso spannend findet. Nachrichtenfaktoren eignen sich hervorragend, um diese persönlichen Einstellungen auszuklammern und ein Thema auf seine Relevanz für die Zielgruppen hin zu prüfen. Zu den Nachrichtenfaktoren gehören unter anderem ein Überraschungsmoment. Klassisches Beispiel: Mann beißt Hund ist eher relevant als Hund beißt Mann. Auch die räumliche und zeitliche Nähe sowie die Tragweite sind wichtige Auswahlkriterien. Ein guter Überblick über die wichtigsten Nachrichtenfaktoren liefert der MDR.
Recherche
Ist die Wahl auf ein Thema gefallen, beginnt die Recherche. Im Unternehmenskontext sind die wichtigsten Quellen Expertinnen und Experten beziehungsweise die Protagonistin oder der Protagonist. Diese primären Quellen liefern nicht nur die relevantesten Informationen, sondern geben auch eine Einordnung im Kontext des Unternehmens.
Darüber hinaus sollten externe Stimmen und bei kontroversen Themen Gegenmeinungen eingeholt werden. Das erhöht die Relevanz und die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung.
Format
Interview, Nachricht oder doch eher Reportage? Bei der Umsetzung des Themas bedient sich die Unternehmenskommunikation journalistischer Darstellungsformen. Dabei kann es sehr hilfreich sein, feste Formate für verschiedene Kanäle zu entwickeln. „Mensch und Betrieb“ als Reportagereihe für das Unternehmensmagazin, Interviews zu gesellschaftlichen Herausforderungen auf dem Blog, Kurzvideos für den Newsroom – der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt.
Authentizität
Brand Journalism lebt von einer ehrlichen und transparenten Kommunikation mit dem Publikum. Nur wenn die Unternehmenskommunikation nicht zu viel Vorwissen voraussetzt, leicht verständliche Begrifflichkeiten nutzt und sich nicht in Worthülsen zergeht, fühlen sich Rezipientinnen und Rezipienten abgeholt und ernst genommen. Es nützt niemanden, wenn Expertinnen und Experten auf die Verwendung von Fachbegriffen beharren, die kein Normalsterblicher versteht.
Beispiele Brand Journalism
Beim Brand Journalism lautet das Motto: Beziehungspflege statt Lead-Generierung. Dafür etablieren Unternehmen eigene Newsrooms, veröffentlichen Hochglanzmagazine und betreiben reichweitenstarke Social Media Profile. Drei Beispiele:
Zeiss: Beyond Talks
Zeiss Beyond Talks ist ein Blog, auf dem Vordenkerinnen und Vordenker aus der ganzen Welt in kurzen Videos zu Wort kommen. Interviewt wird beispielsweise Prof. Dr. Nassir Navab, Leiter des Lehrstuhls für Informatikanwendungen in der Medizin & Augmented Reality an der TU München. Mit seiner Forschungsarbeit möchte er medizinisches Personal in die Lage versetzen, Behandlungen und Lösungen anzubieten, die nicht nur auf die spezifische Krankheit, sondern auf den individuellen Körper zugeschnitten sind.
Zeiss präsentiert sich mit der Reihe als vorausschauendes Unternehmen, welches Wissenschaft und Forschung einen gewaltigen Stellenwert einräumt – ohne dass auch nur ein konkretes Produkt genannt wird.
BASF: Creating Chemistry
BASF veröffentlicht einmal im Jahr das Creating Chemistry Magazin als Print-Ausgabe und im Netz. Der Chemieriese behandelt darin wichtige globale Themen wie Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Mode und Ernährung. Das Magazin ist sehr aufwendig recherchiert und gestaltet. Zu Wort kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Visionärinnen und Visionäre sowie Expertinnen und Experten aus dem eigenen Unternehmen. Der Anspruch ist es, Perspektiven aus verschiedensten Ländern zu bieten und den Leserinnen und Lesern es „zu ermöglichen, sich anhand der bereitgestellten Informationen eine eigene Meinung zu bilden“.
Das Magazin präsentiert BASF als weltumspannendes Unternehmen, das sich um die Zukunft unseres Planeten bemüht – ganz im Sinne des Unternehmensslogans „We create chemistry for a sustainable future“.
Positionierung gegen Rechts
Anfang 2024 deckte das Online-Magazin Correctiv ein Geheimtreffen von rechten Politikerinnen und Politikern, einem führenden Mitglied der Identitären Bewegung und anderen reaktionären Kräften auf. Thema der Zusammenkunft waren menschenverachtende Abschiebepläne. Ein Aufschrei ging durch Deutschland, der in vielen Städten auf die Straße getragen wurde. Auch viele Unternehmen bezogen Stellung und betonten die Wichtigkeit einer toleranten, weltoffenen Gesellschaft. Ein Beispiel dafür ist der Kosmetikhersteller Weleda. CEO Tina Müller distanzierte sich auf ihrem LinkedIn-Kanal sehr eindrücklich von den rechten Umtrieben. Ähnlich tat es Tim Höttges von der Deutschen Telekom.
Bei beiden Statements handelt es sich ebenfalls um Brand Journalism: Ähnlich einem Kommentar in der Tageszeitung bezieht ein Unternehmen in Form des CEOs Stellung zu einem gesellschaftsrelevanten Thema. Das trägt zu einer starken Marken-Identität mit klaren Werten und Überzeugungen bei.
Bildnachweise:
Grafik: Edelman Trust Barometer 2024 – Germany Report – Page 10